Strike a pose
Da gibt es dieses eine Foto von Adriana Lima. Sie loungt in einem weißen, leeren Raum auf dem Boden herum, ein Bein aufgestellt. Es wirkt wie eine sehr entspannte Pose, wenn man an die üblichen aus der Kategorie „High Fashion“ denkt. Allerdings: Adriana Lima trägt einen violetten, engen Anzug. Inklusive Fliege.
Männliche Models – oder weibliche in Männeroutfits – haben es scheinbar leichter vor der Kamera. Sie dürfen die Hände in die Hosentasche schieben, sich gegen Wände lehnen, ein Bein bequem anwinkeln. Das weibliche Fotomodell muss nicht nur springen, sondern sich am besten dabei auch noch kunstvoll verbiegen. Männer dürfen die Brust rausdrücken, so wie es uns Frauen jahrelang eingebläut wurde – jedoch nur für den perfekten, geraden Gang auf High Heels, um selbstbewusst, stark und sexy dabei zu wirken. Doch vor der Kamera? Da geht er für uns auf die Knie. Erste Studien zu diesen unterschiedlichen Posingformen existieren bereits seit Ende der siebziger Jahre. Denn Männer haben es nicht nur scheinbar leichter vor der Kamera – es ist wirklich so.
Männer dürfen sich ausbreiten. So wie sie es in der U-Bahn auch einfach tun, das nennt man da „Manspreading“. Männliche Körper nehmen üblicherweise viel Raum auf einem Foto ein, die Arme sind derart weit ausgebreitet und in die Hüfte gestemmt, da gibt es nichts zu hinterfragen. Frauen hingegen haben sich zu krümmen, die Fragilität ihrer dünnen Statur zu betonen. Die berühmteste Pose, die jahrelang die Cover der Modemagazine dominierte, präsentierte im Grunde die Yogaposition der „Katze“, die Arme werden dabei vor der Körpermitte nach vorne angewinkelt, sodass sie ein „V“ ergeben. Im Prinzip ist es die Visualisierung der Unterdrückung der Frau. Mehr noch, es ist die Hypersexualisierung des weiblichen Körpers – oder kurz gesagt: „Sex sells.“ Eigentlich wurde von einer halbnackten Frau auch schon so ziemlich alles beworben: Pizza, Brennholz. You name it.
„Man sieht, dass ich Feministin bin und zeige, wie ich die Frauen sehe. Ich würde Frauen nie zwingen etwas zu tun, worauf sie keine Lust haben. Die Frauen in meinen Bildern sind Subjekte und niemals Objekte“, erzählte die ikonische Modefotografin Ellen von Unwerth dem Schweizer Magazin Annabelle. Und diese Lust, die versprühen die Models wirklich unwahrscheinlich vor der Kamera. Es darf auch einmal gelacht werden! Das Selbstbewusstsein steht hier im Vordergrund. Ellen von Unwerth nutzt quasi den Female Gaze auf den weiblichen Körper. Ein Bild mag hier gleich inszeniert sein, doch durch die Geschlechterlinse stets anders wirken.
Der Male Gaze kommt ursprünglich aus dem Filmbereich. Wenn die Kamera unnötigerweise den Ausschnitt der hübschen Hauptdarstellerin mit ins Bild nimmt, obwohl er auch einfach nur ihr Gesicht einfangen könnte, dann war wohl ein männlicher Regisseur am Werk. Hier wird die Hauptdarstellerin vom Subjekt zum Objekt. Und das nicht nur durch den männlichen Betrachter. Wir Frauen sind es inzwischen so gewohnt, dass all unsere Makel begutachtet werden ob sie geschminkt sind oder nicht -, dass wir unsere Geschlechtsgenossinnen mit demselben Blick begutachten.
Und so spricht selbst in einer Frauenzeitschrift das Model dennoch einen männlichen, nichtexistenten Leser an. Sie macht uns ihre Femininität vor, die von vielen immer noch dafür erachtet wird einem Mann zu gefallen und wir nehmen dies unterbewusst mit demselben Ziel auf. Doch wie kann man aus diesem Schema ausbrechen? Sind Bilder von „Powerfrauen“ („Powermänner“ gibt es ja nicht, das sind schlicht Männer) nicht auch eine Objektivierung? Kann aber eine Frau nicht auch das Gegenteil wählen und devot sein? Natürlich, man möchte sagen: solange es eben intrinsisch ist. Bei einer großen Werbekampagne hat aber das Model nicht viel dazu zu sagen.
Spezifisch der Kapitalismusfaktor macht es schwierig zu erkennen, was die wahre, reine Botschaft hinter einem Bild sein mag. Da wird beispielsweise mal wieder ein Kleidungsstück mit einem „Feminist“-Aufdruck geshootet. Feminism sells im Übrigen auch. Unterstützt der große Konzern wirklich die Gleichberechtigung der Frau? Muss ich als Konsumentin, die meine Identifikation gerne auf der Brust tragen würde, daher erst einmal im Geschäftsbericht des Unternehmens graben?
Überhaupt, selbstverständlich ist es schwierig, als heranwachsender Fotograf, dankbar um jeden Auftrag, bereits eine wohldurchdachte Vision durchzusetzen. Auch sind vor allem Fotografinnen unterrepräsentiert. Althergebrachtes ist dadurch schwierig zu ändern. Generation um Generation wächst auf mit dem Bild der „passiven Frauenhand“. Sie streichelt über einen Gegenstand, sie hält ihn liebevoll fest. So würde ein Mann niemals nach einer Parfümflasche greifen – er nimmt sie sich!
Dasselbe gilt für die Berührungen des Models am eigenen Körper, zum Beispiel am Schlüsselbein. Das wirkt immer etwas hilflos – aber auch sinnlich. So würde sich ein Männermodel eher selten fotografieren lassen. Kommen wir zurück zur Sprungpose. Was will sie uns vermitteln, außer, dass die Kleidung hübsch fliegen kann? Die Interpretation ist folgende – eine hüpfende Frau ist nicht ernstzunehmend. Sie ist kindlich und daher keine Gefahr. Auch nicht für die Frau als Kundin.
Die wenigsten Männer aber haben ein Interesse, das zu ändern, denn es gefällt ihnen ja schließlich, wenn vielleicht auch nur unterbewusst. Und deswegen braucht es mehr Frauen in der Medienbranche, die etwas zu sagen haben. Mehr noch: Aufgeklärte, engagierte Frauen, die etwas zu sagen haben. Und zwar nicht „Pos‘ so wie immer“. Es braucht Schwestern. Die sich gegenseitig pushen; bereit sind, etwas zu wagen. Auch mal Körper zu inszenieren, die nicht von heller Haut und dünner Statur sind. Nur so können wir die allgemeine Sicht auf die Dinge revolutionieren. Aus dem engen Korsett ausbrechen – und, um Madonna zu zitieren, „strike a pose!“.
Simone Bauer